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12. Juli 2008

»Biotomaten - Ochsenwerder gegen Spanien«

Hamburger Abendblatt

Brennpunkt Nahrung: Wie die Globalisierung unseren Markt für Lebensmittel bestimmt - Abendblatt-Serie

Teil 6: Bio. Ein Demeter-Bauer setzt auf regionale Produkte und direkte Vermarktung. Doch auch die Ökobranche steckt mitten in der Globalisierung.

Von Bob Geisler. Hamburg - Es gibt Tomaten, die denkbar ungeeignet sind für den weltweiten Warenverkehr. Die "Vierländer Platte" ist so eine Sorte: Wunderbar rot und aromatisch zwar, aber knubbelig und mit einer viel zu dünnen Schale, die sie lange Transportwege nur in stark ramponiertem Zustand überstehen lässt. Hinzu kommt: schwer anzubauen, geringer Ertrag, kaum lagerfähig. "Deshalb hat die Lebensmittelindustrie diese traditionelle Tomate schon vor langer Zeit aussortiert", sagt Biobauer Thomas Sannmann (49). "Obwohl sie einfach fantastisch schmeckt."

Auf seinem Hof am Ochsenwerder Norderdeich hat der Hamburger für das gerippte, fast verschwundene Gemüse eine Art Refugium eingerichtet. Ein intensiver, süßer Duft strömt durch das Gewächshaus, in dem die "Vierländer Platte" neben anderen Tomatensorten wie "Ruth" oder "Rosamunde" wächst.

Vieles ist hier anders als im konventionellen Gemüseanbau: Die Wurzeln der Pflanzen stecken in der Erde und nicht in Steinwolle, wie sonst etwa bei normalen Großbetrieben üblich. Hummeln kümmern sich um die Bestäubung der Blüten und zwischen den Tomatenreihen hat Sannmann Rasen gesät, der ab und zu gemäht werden muss. "Das ist zwar aufwendiger als ein Betonweg, aber so bleibt die Erde schön locker und lebendig." Schließlich sei er als Bauer auch für die Kleinstlebewesen im Boden mitverantwortlich.

Sannmann ist ein Überzeugungstäter. Schon 1985 stellte er den elterlichen Betrieb auf die "biologisch-dynamische" Anbaumethode des Ökoverbands Demeter um. Der ganze Hof erscheint wie ein Protest gegen die Regeln der internationalen Arbeitsteilung und die Vorgaben der konventionellen Landwirtschaft. Dem globalen Warenfluss setzt der Bauer einen Kreislauf ganz eigener Art gegenüber: Alles, was auf dem Hof verarbeitet wird, sollte möglichst auch von hier oder aus der direkten Umgebung stammen. Das gilt für Saatgut ebenso wie für Dünger.

30 Rinder leben daher auf dem Gemüsehof und haben vor allem die Aufgabe, möglichst viel Mist zu machen. Der Rinderdung ist ein Hauptbestandteil des Komposts, den Sannmann aus Heu und abgestorbenen Pflanzen selbst herstellt. Er mischt sogar Kamille, Löwenzahn und Baldrian darunter, weil dies dem Boden besonders gut tun soll. "Kompost ist das schwarze Gold des Landwirts", sagt der Bauer. "Deshalb ist es wichtig, dass wir uns selbst darum kümmern."

Vermutlich kommt der Hof in Ochsenwerder dem Idealbild eines deutschen Biobetriebs sehr nahe. Doch der Aufwand, den Sannman treibt, ist selbst für einen Ökolandwirt ungewöhnlich hoch. Auf Pflanzenschutzmittel, Gentechnik und auf chemischen Dünger muss zwar jeder Hersteller verzichten, der seine Produkte mit dem staatlichen Biosiegel kennzeichnen will. Kompost mit Heilpflanzen selbst herzustellen, ist aber eine Spezialität von Demeter, ebenso wie der Gedanke der strengen Kreislaufwirtschaft.

Das Problem: Nur nach den hohen Standards dieses oder anderer Anbauverbände zu produzieren, könnte sich die Ökobranche heute gar nicht mehr leisten. Und einen Verzicht auf Produkte aus dem Ausland erst recht nicht. Seit es Normalität geworden ist, zumindest ab und zu Biolebensmittel zu kaufen und selbst Billigketten ihre Sortimente entsprechend erweitert haben, kommen die deutschen Bauern mit dem Anbau nämlich kaum noch hinterher. "Wir haben die Schwierigkeit, dass die Bioanbauflächen in Deutschland weitaus weniger schnell wachsen als die Nachfrage nach Bioprodukten", sagt Alexander Gerber, Geschäftsführer des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Seit 2001 hat sich der Umsatz der Branche auf 5,3 Milliarden Euro verdoppelt - Tendenz steigend.

Die hohe Nachfrage führt einerseits dazu, dass sich auch im Ökobereich industrielle Strukturen etablieren. Großbetriebe in Schleswig-Holstein bauen massenhaft Biosalat für Aldi oder Lidl an. Und die Deutsche Frühstücksei, ein agroindustrieller Betrieb in Norddeutschland, ist durch den Kauf von Wiesengold Landei zum Marktführer bei Ökoeiern geworden.

Immer mehr Bioware wird zudem importiert. Der Discounter Lidl hat derzeit Biofrühkartoffeln aus Ägypten und Ökogurken aus Spanien im Angebot, bei der Supermarktkette Rewe gibt es Ökomöhren aus Israel. "40 Prozent des Biogemüses, das wir in Deutschland verbrauchen, stammt aus dem Ausland", sagt Ulrich Hamm, Professor für Ökologische Agrarwissenschaften an der Universität Kassel. Bei Obst aus ökologischem Anbau ist der Importanteil mit zwei Dritteln sogar höher als im konventionellen Bereich. Dies liegt vor allem an der Begeisterung der Deutschen für Bananen. "Familien mit kleinen Kindern lieben Biobananen und kaufen von ihnen noch mehr als von konventionellen Früchte", sagt Hamm.

Für Bauer Sannmann sind Biobananen aus Südamerika kein Problem, Ökomöhren aus Israel und Biotomaten aus Spanien hingegen schon. "Wir bauen dieses Gemüse ebenfalls an, warum muss man es nun über Tausende Kilometer hierher transportieren und dafür jede Menge Kraftstoff verbrauchen?"

Die hohen Importquoten haben allerdings noch einen anderen Grund: Auch begeisterte Ökofans wollen heutzutage im Dezember ihre Biotomaten und im Januar ihre ungespritzten Auberginen essen. Da muss Sannmann passen, weil seine Tomatensaison wegen der kälteren Temperaturen gerade mal von Mai bis Oktober dauert. Im Augenblick kann er zwar liefern, doch richtig große Mengen ernten er und seine 20 Mitarbeiter erst in ein paar Wochen. Die Mengenunterschiede und seine hohen Standards führen dazu, dass ein Kilo Tomaten bei ihm zurzeit rund sechs Euro kostet, spanische Biotomaten aber schon für 2,99 Euro im Supermarkt zu haben sind.

Beklagen will sich der Bauer dennoch nicht. Die hohe Nachfrage nach Bioprodukten sichert ihm ein gutes Auskommen. "Ich komme besser zurecht als konventionelle Kollegen, weil der Preisdruck im Biobereich immer noch geringer ist als im normalen Handel." Sannmann verkauft zwar an Großhändler, hat sich mit einem Hofladen und sogenannten Abokisten aber auch einen direkten Draht zu seinen Kunden in Hamburg und Umgebung aufgebaut. Vor allem die Kisten mit verschiedenen Gemüsearten, die direkt nach Hause geliefert werden, seien sehr beliebt. "Auch im Ökobereich geht die Schere zwischen Qualität und Billigware weiter auseinander", sagt der Bauer. "Ich fühle mich im oberen Segment ganz wohl."

 

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